Pflanzenschutzmittel in der Luft und im Trinkwasser?

01. Dezember 2020

Ein Bericht in der Tagespresse über eine angeblich in Ortenberg festgestellte „starke Luftbelastung mit Pflanzenschutzmitteln" hat für viel Verunsicherung und Nachfragen aus der Bevölkerung geführt. Die Gemeindeverwaltung hat dafür großes Verständnis, denn auch wir selbst wurden von diesem Bericht völlig überrascht. Es bleibt uns daher nur, im Nachgang eine sachliche und unaufgeregte Beurteilung bzw. Einordnung vorzunehmen. Wir werden mit den Initiatoren und den Fachbehörden weiter um Aufklärung offener Fragen bemüht sein und ggf. weiter berichten und informieren. Gerne stehen wir bei Fragen zur Verfügung.

Auf Grundlage der zum Bericht in der Tagespresse vorliegenden Stellungnahmen seitens des Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) und des Landratsamtes lässt sich zusammenfassen, dass es aus Sicht der Gemeindeverwaltung keinen Grund gibt, sich in diesem Zusammenhang Sorgen um unsere Gesundheit zu machen. Dies gilt hinsichtlich der Luftqualität, des Trinkwassers und auch der landwirtschaftlichen Produkte.

Wie die letzten Jahre gezeigt haben, ist das Thema „Einsatz von Pflanzenschutzmitteln“ in unserer Gemeinde sehr polarisierend. Der Gemeindeverwaltung ist eine sachliche und objektive Auseinandersetzung mit diesem Thema sehr wichtig. Wir setzen daher anstatt Polemik und Angstmacherei auf einen offenen Austausch und sachlich kontroverse Debatten zwischen allen Mitbürgern und Mitbürgerinnen. 

Worum geht es eigentlich?

Im Auftrag des „Umweltinstitut München e.V.“, eines über Spenden finanzierten Vereins, und dem „Bündnis für eine enkeltaugliche Landwirtschaft“ wurde 2019 eine Studie über die Verteilung von Pflanzenschutzmitteln in der Luft durchgeführt. Hierzu wurden 2019 an 163 Standorten in Deutschland Messungen durchgeführt. Eine dieser Stationen wurde in Ortenberg in einem Vorgarten nahe der Rebberge aufgestellt.

Für die relevante Messmethode (sog. Passivsammler) war Ortenberg einer von zwei Weinbau-Messstandorten bundesweit. Andere Messstationen befanden sich beispielsweise in Wäldern oder inmitten von Städten. Aufgrund der geringen Anzahl vergleichbarer Standorte macht dies die sachliche Einordnung der in Ortenberg erzielten Messergebnisse im bundesweiten Vergleich schwierig,

Was ist das Ziel der Studie?

Der Verein „Umweltinstitut München e.V.“ und ein Zusammenschluss von Bio-Herstellern und Naturkost-Fachhändlern („Bündnis für eine enkeltaugliche Landwirtschaft“) setzen sich unter dem Slogan „Ackergifte? Nein danke!“ dafür ein, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln mittelfristig zu verbieten.

Was wurde gemessen?

Im Pressebericht war zu lesen, dass in Ortenberg „bundesweit die zweithöchsten Pestizid-Werte“ gemessen wurden und dass „bedenkliche Pestizide gefunden worden seien, größtenteils in weitaus höherer Konzentration als zugelassen“. Diese Aussage ist irreführend, denn gemessen wurden nicht die Konzentrationen, der den Angaben zufolge gefundenen Stoffe. Gemessen wurde lediglich die Anzahl an unterschiedlichen Stoffen. Hierbei wurden 29 von 88 untersuchten Wirkstoffen nachgewiesen. Dies waren weniger als am anderen Weinbau-Messort, jedoch mehr als an anderen Messstellen wie beispielsweise in Wäldern oder Innenstädten.

Bei den nachgewiesenen Wirkstoffen handelt es sich größtenteils, jedoch nicht ausschließlich um Stoffe landwirtschaftlichen Ursprungs. Die Mengen liegen im mikroskopischen Nanogrammbereich.

Wie wurde gemessen?

Über 9 Monate hinweg wurden sog. Sammelproben aufgenommen. Es handelt sich also nicht um eine Dauerkonzentration in der Luft, sondern um eine Aufsummierung der über den gesamten Zeitraum hinweg insgesamt vorgefundenen Stoffe.

Um dies mit einem anderen Bild plausibel zu machen: Es ist in etwa so, als wenn man z.B. in 1 km Entfernung die Lautstärke des stündlichen Glockenschlags einer Turmuhr messen und die Werte über Wochen zu einer dauerhaften Lärmbelästigung aufaddieren würde.

Was sagen die Ergebnisse aus?

Entgegen der im Pressebericht erwähnten „erschreckenden“ und „besorgniserregenden“ Bewertung der Ergebnisse kommt das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), mit dem die Gemeindeverwaltung in Kontakt steht, zu dem Schluss, dass die genannte Studie aufgrund der angewandten Messmethode keine fundierte Aussage zulässt. Dagegen seien „generell gesundheitliche Beeinträchtigungen durch Pflanzenschutzmittel, bzw. ihre Wirkstoffe bei sachgerechter und bestimmungsgemäßer Anwendung unwahrscheinlich“. Dies wird auch vom Landratsamt Ortenaukreis bestätigt

Die in der Studie verwendete Wortwahl lässt zudem an der wissenschaftlichen Objektivität der getroffenen Aussagen zweifeln.

Wie kann es sein, dass nicht mehr zulässige Stoffe gefunden wurden?

Dem Pressebericht zufolge wurden auch seit Jahren nicht mehr zulässige Substanzen gefunden. Dies ist zunächst kaum erklärbar. Dass Landwirte verbotene Präparate beschaffen und einsetzen kann nahezu ausgeschlossen werden, denn diese werden regelmäßig und streng kontrolliert. Einige dieser Wirkstoffe sind aber in Mitteln enthalten, die nicht mehr vertrieben werden dürfen, deren Bestände aber noch bis Ende 2019 aufgebraucht werden durften. Auch andere Quellen – etwa Industrie, Verkehr, Verschleppung, Ferntransport aus dem Ausland – können Ursachen sein.

Bestehen Gesundheitsgefahren?

Sowohl nach Aussage des Bundesamtes für Risikobewertung  (www.bfr.bund.de) als auch der Fachleute im Landratsamt sind gesundheitliche Beeinträchtigungen unwahrscheinlich. So werden etwa Pflanzenschutzmittel nur zugelassen, wenn selbst bei einer maximalen und dauerhaften (also täglich wiederkehrenden) Aussetzung keine schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit zu erwarten sind. Von diesen „Worst-Case-Bedingungen“ sind wir aber weit weg, denn die Werte sind tatsächlich so gering, dass sie für Mensch und Umwelt unbedenklich sind.

Die höchste in der deutschlandweiten Studie über Monate angesammelte Menge an Glyphosat etwa liegt um das 12.000-fache unter der Menge, die ein erwachsener Mensch jeden Tag sein ganzes Leben lang ohne Gefahr für seine Gesundheit zu sich nehmen könnte.

Siehe etwa: https://www.bfr.bund.de/cm/343/fernab-vom-feld-gesundheitliche-beeintraechtigungen-durch-abdriften-von-pflanzenschutzmitteln-sind-unwahrscheinlich.pdf

Und wie sieht es mit dem Trinkwasser aus?

Fragen aus der Bevölkerung gab es in diesem Zusammenhang auch zu einer evtl. Auswirkung auf das Trinkwasser. Auch hier kann und muss Entwarnung gegeben werden. Es gibt kaum eine öffentliche Trinkwasserversorgung, die hinsichtlich der Trinkwasserqualität mehr Vorsorge trifft. Und dies sehr erfolgreich:

Die Gemeinden Ortenberg und Ohlsbach betreiben seit 2004 eine gemeinsame Trinkwassergewinnung mit insgesamt vier variabel einsetzbaren Grundwassertiefbrunnen.

Kernelement ist die im Ortenaukreis und weit darüber hinaus einzige Aktivkohlefilteranlage einer öffentlichen Wasserversorgung. Sie wird zur Entfernung organischer Substanzen aus dem Wasser eingesetzt, worunter auch Pflanzenschutzmittel fallen. Zusätzlich durchläuft das Rohwasser zur Entkeimung und Desinfektion eine UV-Licht-Bestrahlung.

Das Trinkwasser - als das wohl bestüberwachte Lebensmittel überhaupt - wird regelmäßig und permanent durch verschiedene Labore beprobt. So urteilt etwa das chemische Landesuntersuchungsamt Freiburg in seinem Trinkwassergutachten vom August 2020 zusammenfassend, dass keinerlei Grenzwerte überschritten werden.

Insbesondere kann keines der nach der Trinkwasserverordnung relevanten Pflanzenschutzmittel oder deren Abbauprodukte nachgewiesen werden. Dieses „Null-Ergebnis“ ist vor allem auf die Aktiv-Kohle-Filtrierung zurück zu führen.

Auch der aus der Bevölkerung angesprochene Nitratwert in unserem Trinkwasser liegt mit 15 mg/l um 70% unterhalb des für besonders empfindliche Säuglinge als unbedenklich festgestellten Grenzwertes von 50 mg/l. Hierzu sei angemerkt, dass Nitrat natürlicherweise auch in vielen Lebensmitteln enthalten ist. Vor allem Salat, Blatt- und Wurzelgemüse weisen mitunter Nitratwerte von deutlich über 1.000 mg/kg auf. Teilweise werden dem Nitrat sogar positive Gesundheitseffekte zugeschrieben.

Näheres auch hierzu vom Bundesamt für Risikobewertung.

Stoffe, die auf eine Beeinflussung durch Abwässer hindeuten wurden im Trinkwasser nicht gefunden und der mikrobiologische Befund ist ebenfalls unauffällig. Das Trinkwasser ist gut mineralisiert und weist eine mittlere Härte auf, so die Fachbehörde. Die Ergebnisse der Trinkwasseranalysen finden Sie hier. 

Trotz der aufwändigen Aufbereitung und hoher Trinkwasserqualität ist die Wassergebühr eine der geringsten im gesamten Ortenaukreis.

Zukunftssicherung der Trinkwasserversorgung

Zu einer weiteren Absicherung gegen Risiken und zur optionalen und variablen Zumischung wurde im vergangenen Jahr der zusätzliche Anschluss an die Fernwasserversorgung „Kleine Kinzig“ beschlossen. Die Arbeiten dazu sollen 2025 abgeschlossen sein.