Volkstrauertag 2020

14. November 2020

An diesem Sonntag ist Volkstrauertag. Pandemiebedingt fand die Gedenkfeier nur im kleinsten Rahmen aber dennoch in würdiger Form statt. Doch gerade diese Stille eröffnet uns Gelegenheit, das Denkmal näher zu betrachten und uns mit diesem – nun behutsam umgestalteten – Areal mit und um das Kriegerdenkmal zu befassen. Und auch mit der durchaus interessanten Geschichte der Kriegerdenkmale in Ortenberg.

Denkmäler sind zeithistorische Dokumente, sie regen an – zum Nachdenken – sie regen aber auch auf! Insbesondere Letzteres hat im Zusammenhang mit den Kriegerdenkmalen in Ortenberg in den letzten 100 Jahren zugetroffen. Denn die Frage von Standort und Gestaltung war tatsächlich eine kontrovers und hartnäckig diskutierte Angelegenheit in Ortenberg im vergangenen Jahrhundert.

Dabei spiegelten die Argumente und Meinungen jeweils auch die Heterogenität und Unterschiedlichkeit in der Gesellschaft des 20. Jahrhunderts wider, denn diese Mahnmale galten in der Gestaltung und Ausprägung auch als Vermittler und Medium politischer Botschaften und weltanschaulicher Gesinnungen.

Wie sehr hier die Ansichten und Meinungen auseinanderliegen können, wie sehr unterschiedliche weltanschauliche Interpretationen auseinanderdriften und tiefe Gräben in der Gesellschaft aufwerfen können, das können wir heute anschaulich sehen, wenn wir die Diskussionen um Verschwörungstheorien in der aktuellen Corona-Krise betrachten. Solche Zerwürfnisse gab es auch hier in Ortenberg.

Ich will Sie daher heute auch auf eine kleine Reise in die Vergangenheit einladen:

Die Kriegerdenkmal-Diskussion war ein Dauerbrenner, der die Bevölkerung und den Gemeinderat über viele Jahrzehnte immer wieder und stetig sehr stark beschäftigt hat.

In Deutschland und Frankreich und später überall in Europa entstanden nach der französischen Revolution und den napoleonischen Kriegen Mahnmale. Sie sollten – anders als die bis dahin üblichen Denkmale für Feldherren oder Offiziere - als Gefallenendenkmale den kollektiven Schmerz und den Verlust zum Ausdruck bringen, indem es dem Tod ihrer Verwandten einen Sinn verleiht, es soll die Überlebenden auf das Vorbild der Opfer verpflichten sowie den Staat und seine Ideale repräsentieren. Deshalb gab es um die Aufstellung von Kriegerdenkmalen auch häufig Konflikte. Die Darstellungen dieser Zeit waren– sicherlich auch getragen von revanchistischen Motiven - häufig antikisiert, d. h. sie zeigten idealtypische, oft auch nackte Kämpfer und oft eine heroisierende Darstellung von Kriegern.

In Ortenberg gab es kein solches Ehrenmal. Erst 1926 wurde oben auf dem Friedhof von der Ortsgruppe des Reichsbundes der Kriegsbeschädigten und Hinterbliebenen an der Stelle einiger Soldatengräber ein symbolisches Ehrengrab errichtet und mit einem kleinen Ehrenmal versehen. Der rivalisierende Militär- und Kriegerverein forderte jedoch schon seit Jahren von der Gemeinde die Errichtung eines Denkmals, was eine lang anhaltende Diskussion um Gestaltung und Standort mit sich brachte. Erst 1928 wurde dieses dann auf dem Kirchplatz errichtet und mit einem heute befremdlich wirkenden Pathos eingeweiht. Es zeigte eine schlichte mannshohe Soldatenfigur mit Stahlhelm, Mantel und Bewaffnung des Karlsruher Bildhauers Föry auf einem Granitsockel. Eine Kompromisslösung, mit der niemand recht zufrieden war: Den Patrioten war es zu un-heldisch und zu wenig für neu Taten begeisternd, den Friedensbewegten zu martialisch und zu wenig abschreckend, den Traditionalisten zu modern, den Hinterbliebenen von Opfern zu anonym, der Kirche mangels christlicher Symbolik zu profan. Besonders kritisiert wurde, dass die Namen der Gefallenen nicht aufgeführt waren. Dem wurde hilfsweise nachträglich dadurch begegnet, dass am Hauptportal der Kirche Namenstafeln aus Granit angebracht wurden.

  •                                                                                     Altes Kriegerdenkmal 1928 - 1961

Die, Jahrzehnte später und bis heute immer mal wieder verwendete Bezeichnung für den Standsoldaten als „Erdäpfelmann“, ist schlichtweg falsch. Wohl nur aus mündlicher Überlieferung davon Kenntnis zu haben, verwechselte man dies mit dem Denkmal des englischen Seefahrers Sir Francis Drake auf der Hauptstraße in Offenburg an der Stelle der heutigen Ursula-Säule. Drake hat angeblich die Kartoffel nach Europa gebracht und in Offenburg befand sich eines der ganz wenigen Drake-Denkmale außerhalb Großbritanniens. Das im Volksmund „Kartoffelmann-Denkmal“ bezeichnete Standbild aus dem Jahr 1853 ist dem Bildersturm der Nazis zum Opfer gefallen und es wurde als „feindlicher Ausländer“ 1939 zerstört.

In Ortenberg hatte sich über die Jahre die Kritik gelegt, man hat sich an das ursprünglich umstrittene Denkmal gewöhnt. So sehr, dass es bei der Planung eines neuen Kriegerdenkmals in den 60ern wiederum zu Aufruhr, Unterschriftensammlungen und leidenschaftlich vorgetragenen Äußerungen zugunsten der Beibehaltung des vormals geschmähten Denkmals kam. Dennoch wurde es hinter der Kirche „begraben“. Aber selbst noch heute werden immer wieder einzelne Forderungen erhoben, dieses wieder auszugraben und im Zuge der Ortskernerneuerung aufzustellen. 

Dessen Abbau wurde bereits Anfang der 60er Jahre diskutiert, denn es wurde auf breiter Basis über ein neues Kriegerdenkmal beraten. Gleichzeitig – und zunächst davon unabhängig – wurde über eine Namensgebung der Grünanlage gegenüber dem Kirchplatz nachgedacht. Auf dem Grundstück befand sich vormals ein Haus, das beim Einmarsch der französischen Truppen am 16. April 1945 zerstört und die Trümmer später beseitigt wurden. Die Gemeinde erwarb das Grundstück und es wurde ein kleiner Park angelegt, der auch einen Namen erhalten sollte. 1961 wurde sogar im Amtsblatt aufgerufen, Vorschläge für die Namensgebung einzureichen. Vorschläge waren: Friedrich-Ebert-Platz (erster Reichskanzler der Weimarer Republik, SPD, der Vorschlag kam vom „Vogt-Andres“ , dem langjährigen SPD-Ortsverbands-Vorsitzenden), Sonntagsplätzle, Franz-Braun-Platz (zum Gedenken an den Ortenberger Bürgersohn, Kulturschaffender auf vielen Ebenen und Begründer des Winzerfestes),- Matthias-Platz, Heinrich-Harter-Anlage (bezog sich wohl auf einen ehem. Eigentümer des Grundstücks), Max-Walk-Platz (charismatischer Pfarrer 1910 – 1939), Friedensplatz, Von-Berckholtz-Platz, Kirchen-Anlage, Bartholomäus-Platz. Eine Entscheidung in der Namensfrage wurde vom Gemeinderat zurück gestellt, wohl aber entschied er in der Sitzung am 14. April 1961, an dieser Stelle ein neues Kriegerdenkmal zu errichten. Die Namensbenennung wurde fortan als nachrangig erachtet, da dies durch die Zweckbestimmung (Kriegerdenkmal) bezeichnet werden würde. Für das neue Denkmal wurde eine Spendensammlung unter der Bevölkerung durchgeführt. Schöpfer waren die beiden Ortenberger Bildhauer Hans Kramer und Ludwig Berg.

                                                                        Kriegerdenkmal 1961

Vor wenigen Jahren wurde das Denkmal auf Initiative und in Eigenleistung von Willi Lang und Peter Schulze restauriert. Und mit der aktuellen, behutsamen Neugestaltung der Grünanlage, der gestalterischen Einheit über die Straße hinweg mit dem Kirchplatz, der Anbringung von Sitzelementen und insbesondere auch der Lichtkonzeption erhält die Anlage eine gebührende Aufwertung. 

Das neue Denkmal bestach seinerzeit durch seine Schlichtheit und strahlte dennoch eine beachtliche Würde aus. Auch heute - nach 55 Jahren - wirkt es zeitgemäß und modern. Sehr beeindruckend ist die Wirkung, die sich bei der Betrachtung einstellt: Der Name jedes der ca. 200 Gefallenen und Vermissten beider Weltkriegen aus unserer Gemeinde findet sich dort „in Stein gemeißelt“. Zunächst erkennt der Betrachter jedoch nur ein schier unübersehbares Buchstabenmeer – eine Allegorie auf die schier unendlich große Zahl an namen- und gesichtslosen Opfern der Kriege und Konflikte, von Zwangsherrschaft und Vertreibung. Ein einzelnes Menschenleben zählte nichts. Erst beim näheren Hinschauen erkennt man auch hier auf unserem Denkmal, dass hinter den gesichtslosen Menschenmassen, Opfern, Buchstaben, sich ein Name, ein Gesicht, eine Geschichte, ein Schicksal verbirgt. Ein Mensch, der trauernde Eltern, Ehepartner, Kinder und Freunde hinterlassen hat.